Eingeladener Realisierungswettbewerb
Erläuterungsbericht
Leitidee
Das Wohn- und Geschäftshaus wird als Symbiose aus Bauwerk und Grün verstanden. Grüne Freiräume sind Teil der Fassaden- und Dachgestaltung und kompensieren die starke Grund-stücksauslastung durch den städtischen Baukörper und seine Außenflächen.
Städtebauliches Konzept
Der entwickelte Baukörper gliedert sich funktional als auch gestalterisch in zwei Teilkörper, die zwischen der sehr unterschiedlichen Bebauung der Nachbargrundstücke vermitteln. Der „Wohnturm“ greift die Orientierung der Wohnbebauung entlang der Bonhoefferstraße und der Bebauung entlang der Marcel-Paul-Straße auf, rückt jedoch dicht an den Kreuzungsbereich und definiert so den städtischen Charakter der Eckbebauung. Seine Höhenentwicklung macht ihn zur städtebaulichen Dominante, die als Auftakt des Wohngebietes „Weimar Nord“ betrachtet werden kann. Er ist mit seinen zehn Geschossen deutlich höher als der benachbarte fünfgeschossige Wohnblock, erscheint aber im Vergleich zu den ebenfalls zehngeschossigen Punkthochhäusern des Wohngebietes als angemessen und passt sich in den städtebaulichen Kontext des Wohngebietes – ein Gefüge aus Zeilenbauten und Punkthochhäusern - ein.
Der zweite Teilkörper beherbergt die Einzelhandelsfunktionen. Er erscheint zwei- bis dreigeschossig, das heißt deutlich niedriger als der „Wohnturm“, wird von der Marcel-Paul-Straße zurückgesetzt und greift damit den städtebaulichen Charakter der östlich angrenzenden Geschäftsbebauung auf. Die dem Gebäude vorgelagerte Zone mit Kollonade und Stellplätzen macht die Marktfunktionen bereits in der städtebaulichen Struktur ablesbar.
Erschließung und ruhender Verkehr
Das Grundstück wird durch den PKW-Verkehr von der Marcel-Paul-Straße aus erschlossen. In der dem Gebäude vorgelagerten Freiraumzone wurden 42 Kundenstellplätze sowie die Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage angeordnet. Weitere 90 Stellplätze für Kunden und Anwohner können in der Tiefgarage im Untergeschoss zur Verfügung gestellt werden.
Die Belieferung und Entsorgung des Einzelhandels erfolgt ebenfalls über die Marcel-Paul-Straße. Unter Nutzung der Zufahrt auf dem östlichen Nachbargrundstück können die zwei LKW-Rampen und weitere PKW-Stellplätze (für Personal) angefahren werden. Auch der auf der Nordseite vorgesehene Entsorgungsraum wird von hier aus erschlossen. Kunden- und Lieferverkehr sind bei dieser Lösung strikt voneinander getrennt.
Die Erschließung mittels öffentlichem Nahverkehr ist durch die Bushaltestellen an der Marcel-Paul-Straße gesichert. Abstellflächen für Fahrräder werden an der Bonhoefferstraße und entlang der östlichen Gebäudeseite vorgesehen. Ein gesonderter Fahrradkeller im Untergeschoss des Wohnturmes nimmt die Fahrräder der Anwohner auf.
(Gebäudeerschließung / innere Erschließung: s.u. „Nutzung und funktionelle Beziehungen“)
Funktion / Konstruktion
Die Einzelhandelsflächen nehmen nahezu das gesamte Erdgeschoss ein. Durch die gewählte hallenartige Stahlbeton- bzw. Stahlverbundbauweise kann die Tragkonstruktion in diesem Ge-schoss auf einzelne Stützen reduziert werden und der Grundriss variabel in Ladenzonen aufge-teilt werden. Im Plan wurde - der Aufgabenstellung entsprechend - die Unterbringung eines Le-bensmitteldiscounters (Verkaufsfläche: 1.200 qm), eines Textildiscounters (Verkaufsfläche: 800 qm) und eines Drogeriemarktes (Verkaufsfläche: 640 qm) dargestellt. Andere Aufteilungen sind denk-bar. Die reduzierte Tragkonstruktion garantiert die Umnutzungsfähigkeit der Einzelhandelsflächen bei zukünftigen Änderungen der Marktsituation. Die Einzelhandelsebene gliedert sich im Wesent-lichen in drei Zonen: Kundenempfang, Verkaufsflächen sowie Nebenräume / Anlieferung. Der Kundenempfang wird auf der Südseite des Gebäudes entlang der Marcel-Paul-Straße gesehen. Eine Kollonade führt den Kunden direkt an den Schaufenstern der Ladenfassaden entlang und lädt zum Flanieren und Betrachten ein. Der Zugang zu den Verkaufsräumen erfolgt von der Kollo-nade. Südlich des Wohnturmes überwindet eine Freitreppe mit versetzt angeordneten Rampen den Höhenunterschied zur Bonhoefferstraße und gewährt Einblicke in den Drogeriemarkt. Für die Kundschaft unrelevante Nebenfunktionen (Sozialräume, Lager, Anlieferung) befinden sich auf der Nordseite des Gebäudes, weitere Nebenräume (Lager, Technik) im nördlichen Bereich der Tiefga-rage. Die Obergeschosse im östlichen Gebäudeteil werden ebenfalls der Einzelhandelsnutzung zugeordnet. Im ersten Obergeschoss werden Büroflächen und zusätzliche Nebenflächen angebo-ten. Sie sind über das Treppenhaus separat zugänglich und können alternativ fremdvermietet werden. Das zweite Obergeschoss beherbergt für die Ladenfunktionen erforderliche Technikflä-chen (z.B. Lüftungstechnik). Dienstleistungsflächen (Friseur o.ä.) wurden im Erdgeschoss des Wohnturmes vorgesehen.
Die Wohnfunktionen wurden komplett im höheren Gebäudeteil angeordnet, der als konstruktiv eigenständiger, massiver Baukörper (Stahlbeton, Mauerwerk) ausgebildet wird. Zur Beschleuni-gung des Baufortschritts empfiehlt sich die Verwendung von Halbfertigteilen. Der „Wohnturm“ wird aus nördlicher Richtung, d.h. vom Wohngebiet aus erschlossen. Ein Foyer führt zu einem Kern mit Sicherheitstreppenhaus und Aufzügen, die die insgesamt neun Wohngeschosse und den Keller bzw. die Tiefgarage erschließen.
Der in der Aufgabe vorgesehene Mietwohnungsbau mit Zwei-, Drei- und Vierraumwohnungen wurde umgesetzt. Es wurde ein Modulbaukasten entwickelt, der Einzelmodule mit jeweils 3,20 m Breite (Achsmaß) vorsieht. Es gibt ein „Servicemodul“ mit Installationskern, an den die Küche und / oder die Sanitärräume angelagert werden. Das zweite Modul – das „Wohnmodul“ - beinhaltet einen neutralen Wohnraum, der als Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer etc. genutzt wer-den kann. Durch die Verschiebung der Module untereinander entstehen Eingangsbereiche, Flur-zonen und Loggien. Sie ermöglicht zudem die Anordnung zusätzlicher Fenster, z.B. zwischen Küche und Loggien. Die angebotenen Wohnungen sind verschiedene Kombinationen der zwei Module. Pro Geschoss können – je nach gewählter Wohnungsgröße - bis zu acht Wohneinheiten angeboten werden. Ein „Zusammenlegen“ mehrerer Wohneinheiten ist durch festgelegte Durch-brüche in tragenden Wänden möglich. So kann z. B. eine Zweiraumwohnung zur Dreiraumwoh-nung erweitert werden, indem ihr ein weiteres Service-Modul mit WC und zusätzlichem Wohnraum zugeschaltet wird. Alle Wohnungen wurden barrierearm geplant. Eine barrierefreie Ausführung wäre ebenfalls realisierbar. Die Wohnungen erhalten Abstellräume neben dem Treppenkern, di-rekt auf dem jeweiligen Geschoss und zum Teil auch innerhalb der Wohnungen. Insgesamt kann eine Abstellfläche von mindestens 6 qm / Wohnung zur Verfügung gestellt werden.
Fassadengestaltung
Die Fassade wird durch ein Stützen-Riegel-Raster strukturiert, das – je nach dahinterliegender Nutzung – mit unterschiedlicher „Füllung“ geschlossen wird. Der Kundenbereich der Einzelhan-delszone erhält werbewirksame, großflächige Verglasungen. Die vorgelagerte Kollonade setzt sich in der Einfassung der Dachterrasse darüber fort. Die Fassaden der Wohneinheiten erscheinen in einem Wechsel aus Fensterelementen und glatten Putzfeldern und werden durch unterschiedlich tiefe Rücksprünge im Bereich der Loggien belebt. Brüstungen werden als Glasbrüstungen gese-hen, um die Begrünung der Loggien als Gestaltungselement der Fassade herauszustellen.
Freiflächen
Die Umsetzung der Aufgabe ist selbst bei der vorgeschlagenen kompakten Baukörperlösung mit einem hohen Flächenverbrauch auf dem Grundstück verbunden. Aufgrund der umfangreichen Ladenflächen und der notwendigen Erschließungsflächen können grüne Freiflächen nur in redu-ziertem Maße direkt auf dem Grundstück angeboten werden. Sie beschränken sich auf Grünstrei-fen entlang der Grundstücksgrenzen und die Eingrünung der Stellplätze. Entlang der Marcel-Paul-Straße wird die straßenbegleitende Bepflanzung mit Linden fortgesetzt.
Um individuelle Freiräume mit Aufenthaltsqualität für die Wohnungen zu schaffen, werden die Grünflächen in die Dach- und Fassadenebene verlagert. Das Flachdach über der Einzelhandels-zone wird als Dachgartenareal für die Mieter gestaltet. Es ist vom ersten Obergeschoss des Wohnturmes aus begehbar. Vorgesehen sind Flächen zum Gärtnern (urbanes gardening), Aus-sichtsplätze, parkähnliche Zonen mit Sitzgruppen und ein Kinderspielplatz. Unabhängig von den gemeinschaftlichen Grünflächen erhält jede Wohnung individuelle Freisitze in Form von begrünten Loggien. Das Flachdach oberhalb des dreigeschossigen östlichen Gebäudeteils wird extensiv begrünt.
Energetisches Konzept / Versorgung
Zur Beheizung der Wohnungen und Sicherstellung des Warmwasserbedarfs wird die Nutzung von Fernwärme favorisiert. Der Hausanschlussraum und weitere Technikräume wurden in der Neben-raumzone des Untergeschosses vorgesehen. Als Optimierung der Wärmeversorgung wird die Nut-zung der Abwärme aus Gewerbekälte und der Wohnungsabluft zur Beheizung der Gewerbeflä-chen sowie zur Sicherstellung des Warmwasserbedarfs vorgeschlagen. Die Stromversorgung er-folgt aus dem öffentlichen Stromnetz. PV-Anlagen zur Eigenstromerzeugung sind auf den erhöh-ten Flachdächern denkbar. Alternativ können die Dachflächen vermietet werden.
Eingeladener Realisierungswettbewerb Juli 2017